C. STÄRKUNG DER SOLIDARITÄTSPOLITIK IN DER EUROPÄISCHEN UNION

Die europäischen Bürger erwarten in einer komplexen Welt, die sie je länger je bedrohlicher finden, dass sie Europa beschützt. Dieser Schutz muss über eine größere soziale Konvergenz und die Modernisierung der Kohäsionspolitik erfolgen.

1. Hin zu einer sozialen Konvergenz

Die Förderung der sozialen Konvergenz der Europäischen Union erfolgt über eine zweispurige Schiene , die Konvergenz und die Einrichtung eines europäischen Fundaments sozialer Rechte auf der einen Seite, der Kampf gegen den Sozialtourismus und die soziale Optimierung auf der anderen.

Die Europäische Kommission hat 2016 im Rahmen der Arbeiten zur Vertiefung der Wirtschafts- und Währungsunion eine öffentliche Konsultation zu einer europäischen Säule sozialer Rechte durchgeführt 9 ( * ) . Gleichzeitig hat sie einen ersten Ansatz für die Säule in drei Kapitel erarbeitet 10 ( * ) :

- Chancengleichheit und Arbeitsmarktzugang, lebenslanges Lernen zwecks Erhöhung der Beschäftigungschancen.

- Faire Arbeitsbedingungen.

- Angemessener und nachhaltiger Sozialschutz sowie Zugang zu hochwertigen essenziellen Leistungen.

Insgesamt sind 34 Rechte , die teilweise an der Charta der Grundrechte inspiriert sind, enthalten. Dazu gehört eine Wirkung hin zu einem fairen und wirklich ganz Europa umspannenden Arbeitsmarkt. Die Säule ermöglicht, sich an die Ambitionen der Europäischen Union zu erinnern: Korrelation der Wirtschaftsentwicklung und Stärkung des sozialen Fortschritts und der sozialen Kohäsion. Die Sozialpolitik, insbesondere die Sozialschutzsysteme müssen eine Reduktion der Ungleichheiten ermöglichen und der Schaffung von Stellen und der Entwicklung des Humankapitals dienen.

Es geht darum, weiter als eine einfache Ankündigung dieser Säule zu gehen, deren Wert heute einem starken Druck unterliegt, da er in fine nur eine neue Indikatorenliste sein würde, die dazu dient, die Situation der Mitgliedsstaaten der Eurozone im Rahmen des Prozesses für makroökonomische Werte zu evaluieren. Die Säule muss auf die ganze Union ausgeweitet werden und Rechtskraft haben. Sie könnte eine Konvergenz der Regeln für den Arbeitsmarkt und die Sozialsysteme darstellen, wobei die Subsidiarität respektiert wird. Sie muss von einer weiter gehenden Reflexion über die Herausforderungen im Sozialbereich begleitet werden: Flexible und sichere Arbeitsverträge, Einbindung von digitalen Plattformen und der Uberisierung«, Weiterbildung, Berufsbildung und Hilfe bei der Wiedereingliederung in die Arbeitswelt. Sie muss sich als soziale Harmonisierung ausrichten. Das Ganze muss ebenfalls auf eine Mitnahme von Leistungen bei Arbeitslosigkeit und Rente in einem anderen Land hinauslaufen. Ebenfalls günstig wäre eine Aufstellung eines gemeinsamen Grundsatzes für ein Mindesteinkommen , in Form eines Prozentsatzes des nationalen Durchschnittseinkommens, ohne dass der Betrag angeglichen wird. Die Staaten würden die Freiheit haben, den Betrag zu bestimmen. Die Kommission hat von ihrer Seite die Einrichtung eines transparenten und vorhersehbaren Mechanismus für die Bildung des Mindesteinkommens befürwortet, während gleichzeitig der Zugang zur Beschäftigung und die Motivation, eine zu suchen, erhalten bleiben.

Die Frage eines gemeinsamen Prinzips für das Mindesteinkommen hängt mit der nötigen Intensivierung des Kampfes gegen den sozialen Wettbewerb in der EU zusammen. Deshalb lohnt es sich, die Revision der Richtlinie von 1996 zur Entsendung von Arbeitnehmern 11 ( * ) zu unterstützen, um ein einfaches Prinzip zu ermöglichen: Gleiches Entgelt für gleiche Arbeit am gleichen Ort« - und gegen soziales Dumping vorzugehen. Sie muss weiter als der Text der Europäischen Kommission gehen, der zwar einen großen Fortschritt darstellt, und eine Betriebszugehörigkeit von mindestens drei Monaten, eine Haupttätigkeit im Herkunftsland von mindestens 25 % des Umsatzes für den entsendenden Arbeitgeber, eine Begrenzung auf 24 Monate der Entsendung und eine Referenzperiode von 36 Monaten, die Übernahme der obligatorischen Missionskosten durch den entsendenden Arbeitnehmer (Unterkunft, Verpflegung, Transport) enthalten, vor eine zeitweise Entsendung möglich ist. Diese Verbesserung des Textes muss mit einer Verstärkung der Kontrollen Hand in Hand gehen: Nutzung der MIAS-Datenbank, die die MwSt.-Nummern für grenzüberschreitende Geschäfte enthält, um die tatsächliche Existenz eines Unternehmens im Herkunftsland zu überprüfen. Zudem muss ein System zur Eintreibung der Sozialversicherungsbeiträge eingerichtet werden, das sich an die entsandten Arbeitnehmenden in den Aufnahmestaaten richtet, die diese Beiträge an die Herkunftsländer überweisen würden.

Des Weiteren gilt es, Maßnahmen gegen das Phänomen Sozialtourismus auszudenken. Es geht darum, die Urteile Dano und Alimanovic des Europäischen Gerichtshofes zu kodifizieren, 12 ( * ) die besagen, dass die Reisefreiheit nicht automatisch das Recht ermöglicht, im Zielland Dienstleistungen wahrzunehmen. Insbesondere gestützt auf den Vorschlag der Europäischen Kommission vom Dezember 2016 13 ( * ) könnte das Gesetz Folgendes enthalten:

- Bedingung einer Erwerbstätigkeit im Aufnahmemitgliedstaat, um von den Arbeitslosendienstleistungen in diesem Staat profitieren zu können;

- Einrichtung eines Koordinationssystems der Dienstleistungen bei Langzeitpflege.

2. Modernisierung der Kohäsionspolitik

Die europäische Gemeinschaftspolitik des territorialen Zusammenhalts, die via fünf Strukturfonds (FEDER-FSE, FEADER, FEAMP, Kohäsionsfonds) umgesetzt ist, symbolisiert die Solidaritätsambitionen, die für das europäische Projekt fundamental sind. Ziel ist es, die Entwicklungsunterschiede zwischen den europäischen Regionen zu reduzieren und ist eine Investitionspolitik rund um bestimmte, von der Europäischen Union und den Mitgliedsstaaten definierte Prioritäten: Nachhaltiges Wachstum, technologische Forschung und Entwicklung, Wettbewerbsfähigkeit von KMUs, aber auch Schaffung von Arbeitsstellen, Bildung, soziale Einbindung und Kampf gegen Armut. Diese Politik muss im nächsten mehrjährigen Finanzrahmen (MFR) der Europäischen Union für die Periode 2021-2028 für alle Regionen der Mitgliedsstaaten bestätigt werden.

Es handelt sich dabei um eine Politik der gemeinsamen Verwaltung zwischen der EU - hauptsächlich der Kommission - und den Mitgliedsstaaten. Die Partnerschaft zwischen Kommission und Mitgliedsstaaten führt über eine siebenjährige Periode nationale Förderprogramme durch. Diese Programme müssen mit einer Entwicklungs- und Wachstumsstrategie der Europäischen Union (Strategie Europa 2020) einhergehen und strukturelle Reformen enthalten, die jährlich für jeden Mitgliedsstaat während des europäischen Semesters definiert werden.

Die Regionalpolitik steht für die nötige Vereinfachung , die in die gesamte Politik der EU Einzug nehmen muss. Deshalb wurde eine hochrangige Gruppe dazu einberufen, deren Schlussfolgerungen der europäischen Kohäsionspolitik für die Periode 2021-2028 eine neue Konfiguration ermöglichen sollten.

Dieser Vereinfachungsbedarf, der für Aneignung durch die Bürger fundamental ist, muss insbesondere auf folgende Punkte abzielen:

- drastische Vereinfachung der Reglementierung, deren Schwerfälligkeit und Komplexität stetig zunimmt. Die europäischen Regulierungsstandards zeigen sich formal gesehen zu übermäßig (tausende von Seiten), juristisch instabil - neue Normen ersetzen geltende - und insbesondere undurchsichtig, was wiederum Auslegehinweise der Kommission mit sich zieht, die die Regeln ergänzen. Zahlreiche Mitgliedsstaaten fügen diesen Normen noch striktere und komplexere als die der EU hinzu, meist aus Angst vor Anfechtungsverfahren durch die Kommission oder den Europäischen Rechnungshof;

- Förderung der Proportionalität, d.h. Anpassung der Kontroll- und Auditverfahren an das betroffene Projekt - gemäß betroffener Ressourcen und Risiken: für kleine und mittlere Projekte, wenig Kontrolle und Audits; für die anderen, Erhaltung der derzeitigen Einrichtungen mit geteilter Verwaltung;

- Förderung der Differenzierung zur Anpassung der europäischen Kontroll- und Auditverfahren an die administrative Kapazität jedes Mitgliedsstaates in dieser Hinsicht. Nicht alle Mitgliedsstaaten haben die gleichen Kapazitäten und Erfahrung für administrative Kontrollen der öffentlichen Ausgaben: Ein einheitliches und allzu anspruchsvolles europäisches System, wie es derzeit vorhanden ist, ist nicht angemessen.

Abgesehen von den nötigen Reformen, die von einem pragmatischen Ansatz ausgehen, werden Neuausrichtungen erwartet:

- finanzielle Flexibilität - Die Migrationskrise hat die große Schwierigkeit für die Europäische Union ans Licht gebracht, schnell angemessene, finanzielle Ressourcen für eine große Krise bereit zu stellen. Muss die Kohäsionspolitik in ihren Programmen die Flexibilität und Reaktivität in Budgetfragen integrieren und wenn ja, wie? Müssen die zukünftigen Förderprogramme eine Kreditmarge umfassen, damit die Regionen und Staaten zur Umsetzung einer europäischen Krisenpolitik beitragen, wie beispielsweise bei der Migrationskrise oder Naturkatastrophen?

Um der Kohäsionspolitik ihren vorhersehbaren und stabilen Charakter nicht zu nehmen und die mehrjährige Feinplanung zu respektieren, muss diese legitime Flexibilität des Budgets der EU eher in der Rücklage schnell mobilisierbarer Kredite gründen, um außergewöhnliche Situationen zu meistern, statt Umlagerungen zwischen Rubriken im europäischen Budget oder Veränderungen an den Umsetzungen der Regionalprogramme durchzuführen;.

- Harmonisierung der Regeln zwischen verschiedenen europäischen Fonds, die direkt und nicht durch die Europäische Kommission verwaltet werden (CEF, Cosme, Horizon 2020, Strukturfonds). Insbesondere, was die Fragen der Staatshilfen und öffentlichen Märkte angeht, die unterschiedliche Verfahren für die Strukturfonds als für andere europäische Fonds erfordern, auch wenn sie alle aus dem Budget der EU stamen;

- Zusammenlegung der verschiedenen Strukturfonds in einen europäischen Raumentwicklungsfonds. Indem die Rivalitäten der konkurrierenden Kompetenzen zwischen betroffener Direktionen der Kommission oder nationaler Ministerien überkommen werden, würde eine solche Arbeitsweise den nötigen Klärungsprozess der Regeln und der Sichtbarkeit der europäischen Investitionspolitik für Raumentwicklungsprogramme ermöglichen.

Die Investitionspolitik der EU, ob sie nun auf europäische Struktur- und Investitionsfonds oder europäische Fonds für strategische Investitionen abzielt, bietet eine wachsende Bühne für Finanzinstrumente im Vergleich zu traditionellen Subventionen. Aufgrund des Hebelgesetztes, das diese Instrumente bieten (Darlehen, Garantien, Beiträge von Eigenmitteln), indem private Ressourcen angefordert werden, werden sie häufig als Effizienzgarantie genannt, um die Fonds zu erneuern.

Es muss vorsichtig gehandelt werden und eher ein gutes Gleichgewicht zwischen Subventionen und Finanzinstrumenten gewählt werden, um die Kohäsionspolitik umzusetzen: Eine finanzielle Logik eignet sich nicht unbedingt für bestimmte öffentliche Politiken, die nur durch Subventionen gefördert werden können. Was die Wirkung der Finanzinstrumente bezüglich administrativer und reglementarischer Vereinfachung angeht, kann heute nichts bestätigt werden.

*

Die Kohäsionspolitik ist für die Unterstützung des Wachstums und der Beschäftigung fundamental, aber heute aufgrund verschiedener Faktoren geschwächt und die Zukunft unsicher :

- durch den Willen die Ausgaben zu reduzieren, die sie widerspiegelt;

- aufgrund der Konkurrenz, die der EFSI darstellt, dessen Verdoppelung allerdings gewollt ist;

- aufgrund des Willens bestimmter Mitgliedsstaaten, bzw. der Kommission selbst, ihn nur auf die am wenigsten entwickelten Regionen zu beschränken.

Diese Politik repräsentiert einen nicht zu vernachlässigenden europäischen Mehrwert «, dessen positive Wirkung auf lokaler Ebene nicht geleugnet werden kann. Im Gegenzug ist eine radikale Vereinfachung der Regeln, die Differenzierung der Kontrollen und Harmonisierung mit anderen europäischen Fonds unumgänglich für das Verständnis durch die Projektträger und dessen Empfänger, damit die Bürger Europas die Möglichkeiten verstehen können.

Empfehlungen für die Solidaritätspolitik in der Europäischen Union

1. Hin zu einer sozialen Konvergenz

- Erarbeitung einer europäischen Säule sozialer Rechte, um die Konvergenz der Regeln für den Arbeitsmarkt und der Sozialsysteme zu vereinfachen, wobei die Subsidiarität respektiert wird.

- Breiter abgestützte Reflexion über die Herausforderungen im Sozialbereich: flexible und sichere Arbeitsverträge, Einbindung von digitalen Plattformen und der Uberisierung«, Weiterbildung, Berufsbildung und Hilfe bei der Wiedereingliederung in die Arbeitswelt.

- Aufstellung eines gemeinsamen Grundsatzes für ein Mindesteinkommen, in Form eines Prozentsatzes des nationalen Durchschnittseinkommens.

- Unterstützung der Revision der Richtlinie zur Entsendung von Arbeitnehmern, um ein gleiches Entgelt für gleiche Arbeit am gleichen Ort zu garantieren und die Umrahmung der Entsendung zu stabilisieren.

- Kampf gegen den Sozialtourismus« durch Bedingung für den Zugang der Beitragsleistungen der Arbeitnehmenden anderer Mitgliedsstaaten.

2. Stärkung des territorialen Zusammenhalts

- Klärung und Stabilisierung der Nutzungsregeln der europäischen Struktur- und Investitionsfonds


• Reduktion des reglementarischen Korpus der Kommission Programmerarbeitung für eine einheitliche und stabile Reglementierung für alle Strukturfonds und Vornahme rückwirkender Veränderungen in der laufenden Periode; Abbringen der nationalen und regionalen Behörden, die die Strukturfonds verwalten, davon, deren Nutzungsbedingungen zu überreglementieren.


•  Harmonisierung der Regeln für alle europäische Fonds, insbesondere für Staatshilfen und öffentliche Märkte.


• Mittelfristige Planung der Fusion der aktuellen Strukturfonds zu einem Einheitsfonds für europäische regionale Entwicklung.

- Lockerung der Flexibilitätsmargen für die Umsetzung der Strukturfonds:


• Anpassung Kontroll- und Auditregeln an die finanzielle Bedeutung und die Natur der Projekte; Differenzierung der Kontroll- und Auditmaßnahmen von der Nutzung der Strukturfonds je nach administrativer Kapazität der Mitgliedsstaaten; Privilegierung der Kontrollen auf Basis der Resultate nur im Hinblick auf die Konformität mit den Buchhaltungsregeln.

- Erhaltung der Errungenschaften der Kohäsionspolitik :


• Respektierung der Prinzipien für wirtschaftliche Auflagen, der Partnerschaft Kommission-Staat-Region, thematische Prioritäten und Evaluierung auf Resultatbasis.


• Erhalt eines Gleichgewichts zwischen dem Einsatz von Finanzinstrumenten auf der einen Seite und Subventionen auf der anderen.


• Erhalt des Zugangs aller Regionen zu den Strukturfonds, unter der Bedingung unterschiedlicher Modalitäten je nach Entwicklungsniveau.


• Sicherung im Budget der Europäischen Union der Ressourcen für die Territorialitätskohäsion als Hauptinvestitionspolitik für Wachstum und Beschäftigung.


* 9 Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen, Einleitung einer Konsultation über eine europäische Säule sozialer Rechte, COM (2016) 127 final.

* 10 Vorläufiger Entwurf der europäischen Säule sozialer Rechte, COM (2016) 127 final Anhang 1.

* 11 Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 96/71/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 1996 über die Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen (COM (2016) 128 final).

* 12 Urteil des Gerichtshofs (Große Kammer) vom 11. November 2014 Elisabeta Dano und Florin Dano gegen Jobcenter Leipzig und Urteil des Gerichtshofs (Große Kammer) vom 15. September 2015 Jobcenter Berlin Neukölln gegen Nazifa Alimanovic u. a.

* 13 Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit und der Verordnung (EG) Nr. 987/2009 zur Festlegung der Modalitäten für die Durchführung der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 (COM (2016) 815 final).

Les thèmes associés à ce dossier

Page mise à jour le

Partager cette page