B. DIE WIRTSCHAFTLICHE REGIERUNGSGEWALT VERVOLLSTÄNDIGEN
Der Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union ist eine unleugbare Gelegenheit, um das politische Projekt des Euros zu bekräftigen. Zur Erinnerung: Die Verträge sehen vor, dass letztlich alle Staaten der Eurozone beitreten. Artikel 3, Absatz 4 des Vertrags über die Europäische Union sieht vor, dass die Union [...] eine Wirtschafts- und Währungsunion [errichtet], deren Währung der Euro ist «. Nur zwei Länder besitzen derzeit eine Ausnahmegenehmigung: Dänemark und Großbritannien. Die anderen Mitgliedsstaaten erhalten die gemeinsame Währung, sobald sie die Konvergenzkriterien erfüllen 8 ( * ) .
Die Wirtschafts- und Währungsunion beruht ursprünglich auf einer klaren Aufgabenverteilung . Die Europäische Zentralbank als unabhängiges Organ, das für die Währungspolitik verantwortlich ist, sollte die Zone im Falle eines Schocks, der alle Mitglieder auf dieselbe Art und Weise betrifft, stabilisieren (symmetrischer Schock). Im Falle einer lokalen Krise (asymmetrischer Schock), haben die Staaten die Freiheit, innerhalb der Grenzen des Stabilitäts- und Wachstumspaktes (Haushaltsdefizit geringer als 3 % des BIP und öffentliche Schuldenlast geringer als 60 % des BIP) über die Haushaltspolitik zu handeln. Die Staaten sollten also über eine antizyklische Politik gewährleisten, dass sie im Falle einer Krise über die notwendigen Handlungsinstrumente verfügen könnten. Diese Bedingung wurde jedoch von Mitgliedsstaaten nicht vollkommen eingehalten.
Die Staatsschuldenkrise führte dazu, dass sich die Wirtschafts- und Währungsunion ab 2010 mit den entsprechenden Instrumenten ausstattete, damit sie konjunkturell auf einen ökonomischen Schock reagieren konnte: erst mit der Einrichtung der Europäischen Finanzstabilisierungsfazilität (EFSF), dann des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM). Die Europäische Zentralbank hat ebenso eine Reihe von Bestimmungen aufgestellt, die eine Zinssatzerhöhung für Anleihen der Mitgliedsstaaten in der Eurozone verhindern und erneute Investitionen erleichtern sollten: die Programme SMP, OMT, LTRO sowie quantitative Lockerungsmaßnahmen. Mit der Verabschiedung des six-pack , dann des two-pack konnte auf struktureller Ebene eine Neigung zu einem haushaltspolitischen Föderalismus beobachtet werden. Diese Maßnahmen ermöglichten die Einrichtung des Europäischen Semesters, die Stärkung des Stabilitäts- und Wachstumspaktes sowie die Schaffung eines Verfahrens für makroökonomische Ungleichgewichte. Die Errichtung einer Bankenunion, die einem Übergreifen der Bankenkrisen auf die öffentliche Hand vorbeugen sollte, vervollständigte diese Bestimmungen.
Die Stärkung der Wirtschafts- und Währungsunion wartet heute auf einen zweiten Anlauf , obwohl die europäischen Institutionen ihre Beziehungen für eine Vertiefung der Eurozone mit der bereits durchschimmernden Einrichtung von antizyklischen Instrumenten mehren (europäischer Haushalt, Mechanismus der europäischen Arbeitslosenversicherung, Vergemeinschaftung eines Teils der Schulden). Um weiter vorwärts zu gehen, ist eine kollektive Entscheidung für eine verstärkte Koordination bei der Haushaltspolitik und damit eine vertiefte supranationale Zusammenarbeit notwendig.
1. Phase I zur Vertiefung der Wirtschafts- und Währungsunion abschließen
Im Juni 2015 legten die Vorsitzenden der Europäischen Kommission, des Europäischen Rates, des Europäischen Parlaments, der Eurogruppe und der Europäischen Zentralbank einen Bericht mit dem Titel Vollendung der Wirtschafts- und Währungsunion «. Dieses Dokument sieht zwei Phasen zur Stärkung der Strukturen und Instrumente der Eurozone vor. Die erste Phase soll zum 30. Juni 2017 beendet werden und eine praktische Vertiefung durch die Verwendung bestehender Instrumente ermöglichen. Die zweite Phase, die bis 2025 andauern soll, wird bedeutende institutionelle Veränderungen mit sich bringen. Mehrere Bestimmungen wurden bereits im Laufe der Phase I umgesetzt: Reform des Europäischen Semesters, Überarbeitung des Verfahrens bei makroökonomischen Ungleichgewichten, Einrichtung nationaler Wettbewerbsräte, Schaffung eines beratenden europäischen Haushaltskomitees, fortschreitende Angleichung der Vertretung der Eurozone bei den internationalen Finanzbehörden sowie die Einleitung einer Konsultation über einen europäischen Grundstock der Sozialrechte. Die Rolle einiger Institutionen unter ihnen - wie des Haushaltskomitees und der nationalen Wettbewerbsräte - sollten klarer definiert werden, damit ihr Beitrag zur Vertiefung der Wirtschafts- und Währungsunion besser evaluiert werden kann.
Des Weiteren sollten auch die anderen Vorschläge ausgebaut werden, insbesondere, indem ein Konvergenzkodex für soziale und steuerrechtliche Fragen eingerichtet wird (s. unten). Es ist notwendig, einen schrittweisen Mechanismus zur Vereinheitlichung der Regelungen zum Arbeitsmarkt und den Sozialsystemen einzuführen, um die soziale Dimension der Eurozone wirklich zu stärken. Das Vorgehen auf sozialer Ebene muss auf die steuerrechtliche Ebene ausgeweitet werden. Es läuft bereits eine Reflexion zur gemeinsamen konsolidierten Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundlage (ACCIS). Damit soll die Vereinheitlichung der Volkswirtschaften in der Eurozone vorangetrieben und die Entwicklung von Steuerkonkurrenz zwischen den Staaten bekämpft werden. Um die Unternehmensbesteuerung zu anzugleichen, muss insbesondere ein Zeitplan ausgearbeitet werden. Jegliche Angleichung darf nicht auf Kosten der Wettbewerbsfähigkeit der französischen Unternehmen oder der nationalen Steuergelder gehen. Innerhalb der deutsch-französischen Achse kann diese Angleichung beschleunigt werden, indem der Mehrwertsteuersatz und die Kapitalbesteuerung harmonisiert werden und indem ein einheitlicher Körperschaftsteuersatz bestimmt wird. Dieser Konvergenzkodex könnte anschließend auf Investitionen erweitert werden, vor allem im Bereich der Forschung und Entwicklung.
Die Reform des Europäischen Semesters muss ebenfalls verlängert werden - eine Analyse der Situation in der Eurozone wird nun bei Verfahrensbeginn eingefügt. Das Europäische Semester konzentrierte sich bis dato lediglich auf eine Überwachung der individuellen Lage in den Mitgliedsstaaten und insbesondere ihrer Fähigkeit, die empfohlenen strukturellen Reformen umzusetzen. Das Europäische Semester sollte in zwei Phasen eingeteilt werden, um so der Evaluation der Situation in der Eurozone besser Rechnung zu tragen. Das erste Quartal (November des Jahres n-1 bis Februar des Jahres n) wäre somit der Analyse der makroökonomischen Lage in der Eurozone gewidmet. So könnte die Ausrichtung der Haushaltspolitik und der Wirtschaftspolitik innerhalb der Zone definiert werden. Das zweite Quartal (März bis Juli n) wäre der Prüfung der einzelnen Länder gewidmet.
Die Bankenunion muss ebenfalls so schnell wie möglich vollendet werden. Dabei soll, so der Wunsch der Europäischen Kommission, ein Europäischer Einlagensicherungsfonds eingerichtet werden. Die Harmonisierung der nationalen Garantiefonds könnte die erste Etappe sein. Die Verteilungsschlüssel der Beiträge müssen jedoch berücksichtigen, wie hoch der Anteil des Bankensektors in jedem teilnehmenden Staat ist. Die Möglichkeit für den einheitlichen Lösungsmechanismus, wie im Rahmen der Bankenunion vorgesehen, beim Europäischen Stabilitätsmechanismus Geld zu leihen, wenn ein Staat in einer Systemkrise steckt, muss ebenfalls erwägt werden. Gegebenenfalls muss er mit den notwendigen Mitteln ausgestattet werden, um glaubwürdig zu sein.
2. Welches Budget für die Eurozone?
a) Der Europäische Währungsfonds
Eine der ersten vorgeschlagenen Ideen besteht aus der Umsetzung einer gemeinsamen Verwaltung der Schulden der Mitgliedsstaaten. Dabei ist zu bemerken, dass der Vertrag von Maastricht eine Nicht-Beistandsklausel enthält (Artikel 125 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union), der besagt, dass die Europäische Union und die Mitgliedsstaaten nicht für die Schulden anderer Mitgliedsstaaten verantwortlich gemacht werden können. Die Schaffung eines Europäischen Stabilitätsmechanismus und der Rückkaufprogramme von Obligationen durch die Europäische Zentralbank (SMP, OMT und quantitative Lockerungsmaßnahmen) haben allerdings das Prinzip der gemeinsamen Verwaltung weniger prägnant gemacht.
Allerdings lohnt es sich, den Status des ESM zu hinterfragen, der heute kein Instrument der Europäischen Union, sondern eine rein zwischenstaatliche Einrichtung ist. Zudem sollte man die Kapazität des ESM hinterfragen, bei einer Krise in einem großen Land der Zone, wie beispielsweise Italien oder Frankreich, zu handeln. Die Handlungskapazität könnte durch die begrenzten Ressourcen sehr eingeschränkt sein (750 Milliarden Euro). Die Vergabe einer Banklizenz an den ESM, eine Art Europäischer Währungsfonds, würde eine Neufinanzierung bei der Europäischen Zentralbank ermöglichen und so für Interventionen eine Garantie darstellen.
Der Europäische Währungsfonds könnte ebenfalls Schuldanleihen für Staaten in Schwierigkeiten ausgeben. Diese zusätzlichen Schuldanleihen würden von allen Mitgliedsstaaten der Zone garantiert. Von deren Höhe hängt auch der Überwachungsgrad über die Budgetpolitik der betroffenen Staaten ab. Der Zugang zum Europäischen Währungsfonds würde die gleichen Bedingungen wie beim ESM bedeuten, wozu die Einhaltung des Konvergenzprogramms, wie oben erklärt, hinzukommen könnte.
b) Die Anhörungen bezüglich einer Einrichtung eines Budgets für die Eurozone
Das Projekt des Budgets der Eurozone zeigt die vielen Fragen zu dessen Zweck und dem Mitwirken. Vier Ideen werden dabei regelmäßig vorgeschlagen:
- ein vollwertiges Budget der Eurozone zur Reaktion auf antizyklische Bedingungen;
- ein zwischenstaatlicher Versicherungsmechanismus, der den Mitgliedsstaaten bei Konjunkturschocks via Finanztransfers zur Verfügung stehen würde ( rainy-day fund ). Diese Maßnahme wäre am schnellsten umsetzbar;
- ein Arbeitslosenversicherungssystem für die Wirtschafts- und Währungsunion: Ein Teil der nationalen Beiträge würde in einen Europäischen Fonds fließen, der im Gegenzug Kurzzeitarbeitslosen (weniger als 12 Monate) Hilfe bietet;
- ein Rückversicherungssystem für nationale Arbeitslosenversicherungen, ähnlich dem amerikanischen extended benefits scheme : Das durch nationale Beiträge finanzierte System würde die Staaten unterstützen, wenn die Arbeitslosenquote ein bestimmtes Niveau überschreitet;
Derzeit ist kein Konsens möglich. Die Verbesserung der Steuerung der Wirtschafts- und Währungsunion und die Stärkung der demokratischen Legitimität scheinen für das Fortschreiten dieses Projekts ausschlaggebend (s. unten ).
3. Stärkung der Steuerung der Wirtschafts- und Währungsunion und der demokratischen Legitimität
a) Ein politisches Direktorium für die Eurozone
Der Vertrag über Stabilität, Koordinierung und Steuerung sieht Eurozonengipfel vor, die einen von den Staats- und Regierungschefs bestimmten Präsidenten enthalten. Diese Funktion wird heute vom Präsidenten des Europäischen Rates übernommen. Der Gipfel hat sich allerdings nur bei Krisen versammelt.
Eine erste signifikante Evolution wäre, die Organisation der Eurozonengipfel zu systematisieren und alle drei Monate abzuhalten. Bei diesen Gipfeln würden die Staats- und Regierungschefs ein Arbeitsprogramm für die Zone erarbeiten, das Ziele in Bezug auf Budget und Steuern enthält. Dieses politische Direktorium muss ermöglichen, die Zone wirklich zu steuern. Die Aufgaben würden via Eurogruppe den Ministern übertragen. Man könnte die Nominierung eines politischen Koordinators der Eurozone vorsehen, der der Eurogruppe vorsitzen würde und dessen Aufgabe es hauptsächlich wäre, die vom Eurozonengipfel dargelegten Ziele umzusetzen und die Repräsentation der Eurozone bei den internationalen Finanzinstitutionen zu übernehmen.
Die Verstärkung der politischen Führung der Eurozone muss eine wahre Koordination der Wirtschafts- und Budgetpolitik sowie eine Steuerkonvergenz mit sich ziehen. Deshalb muss eine bessere Komplementarität mit den Maßnahmen der Europäischen Zentralbank möglich sein. Die akkommodierende Geldpolitik der EZB ergibt nur Sinn, wenn sie in den Mitgliedsstaaten von Strukturreformen begleitet wird, die Investitionen und die Schaffung von Stellen sowie eine Senkung der öffentlichen Schulden mit sich zieht.
b) Eine bessere Beteiligung der nationalen Parlamente
Es scheint unumgänglich, die Beteiligung der nationalen Parlamente für die Arbeitsweise der Wirtschafts- und Währungsunion abzusichern. Artikel 13 des Vertrags über Stabilität, Koordinierung und Steuerung (SKS-Vertrag) sieht eine interparlamentarische Konferenz vor, die die Vertreter der nationalen Parlamente und des Europäischen Parlaments zusammenführt. Dabei muss die Rolle verändert und verstärkt werden. Das heutige Format eignet sich nicht dazu, dass tiefgreifende Gespräche zwischen den nationalen und Europäischen Parlamenten möglich sind. Die zugestandene Zeit für Expertenbeiträge und die Anzahl Themen auf der Traktandenliste müssen reduziert werden. Die Konferenz müsste unter anderem mit den Arbeiten der Kommission zur Evaluierung der schwierigen Situation der Eurozone, den Empfehlungsentwürfen für die Staaten im Rahmen des Stabilitäts- und Wachstumspakts oder der Prozedur für makroökonomische Ungleichgewichte verbunden werden und die Situationsbeobachtung der Staaten übernehmen, die finanzielle Hilfe erhalten. Sie muss den Präsidenten der Europäischen Zentralbank, den Präsidenten der Eurogruppe, den Finanzminister der Eurozone, die Mitglieder der Europäischen Kommission, die von den Fragen zur Zukunft der Eurozone betroffen sind, den Leiter des Europäischen Stabilitätsmechanismus oder die Mitglieder des beratenden Europäischen Fiskalausschusses befragen können.
Unter diesen Bedingungen kann sich das Parlament der Eurozone in Straßburg für mindestens zwei Sitzungen treffen: Die erste zu Beginn des europäischen Semesters im November zur Untersuchung der Situation der Eurozone und die zweite im Juni des Folgejahres zur Präsentation von Projekten und Empfehlungen durch die Länder der Europäischen Kommission. Das Reglement der Konferenz in Artikel 13 ermöglicht heute die Annahme von Schlussfolgerungen durch den Präsidenten am Ende jeder Sitzung. Allerdings sollte dies weitergeführt werden und die Übernahme von Entschließungen durch die Konferenz ermöglichen. Man könnte vorsehen, dass diese Konferenz im Namen der nationalen Parlamente, das Prinzip der Verpflichtung durch den Europäischen Währungsfonds validiert, um einem Mitgliedstaat zu helfen. Die Vergabe von Krediten würde hingegen weiterhin den Entscheidungen der nationalen Parlamente unterliegen.
Empfehlungen für die Wirtschaftsverwaltung der Euro-Zone 1. Abschluss von Phase I der Vertiefung der Wirtschafts- und Währungsunion: - Klarstellung der Rolle des Europäischen Fiskalausschusses und der nationalen Produktivitätsbehörden; - progressive Förderung des sozialen und steuerlichen Konvergenzprogramms, das die Souveränität der einzelnen Staaten wahrt; - Durchführung der Reform des europäischen Semesters, das in zwei Trimester geteilt wird, eines für die Situation der Eurozone und eines für die Mitgliedsstaaten; - Abschluss der Bankenunion:
2. Welches Budget für die Eurozone? - Transformation des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) in einen Europäischen Währungsfonds (EWF):
- Vorbereitung zur Schaffung einer Budgetkapazität für die Eurozone mit antizyklischer Vision, zur Stärkung der Steuerung der Wirtschafts- und Währungsunion und zur Stärkung der demokratischen Legitimität. 3. Stärkung der Steuerung der Wirtschafts- und Währungsunion und der demokratischen Legitimität: - Systematisierung der Organisation des Eurozonengipfels zur Stärkung der Exekutive der Eurozone, beispielsweise alle drei Monate. Die Staats- und Regierungschefs erarbeiten ein Arbeitsprogramm für die Zone mit Budget- und Steuerzielen. - Nominierung eines politischen Koordinators der Eurozone vorsehen, der der Eurogruppe vorsitzen würde und dessen Aufgabe es hauptsächlich wäre, die vom Eurozonengipfel dargelegten Ziele umzusetzen und die Repräsentation der Eurozone bei den internationalen Finanzinstitutionen zu übernehmen. - Modernisierung der Konferenz von Artikel 13 des Vertrags über Stabilität, Koordinierung und Steuerung (SKS-Vertrag):
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* 8 Schweden, das sich per Referendum im September 2003 gegen die Annahme des Euros ausgesprochen hatte, lehnte es seinerseits ab, dem zweiten Europäischen Wechselkursmechanismus (EWS II) beizutreten. Die zweijährige Teilnahme an diesem Mechanismus ist eines der Konvergenzkriterien.